vom schönen Leben Herr ich habe
die große Beschäftigung, müßig zu gehen;
ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtstun;
ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit.
Keine Schwiele schändet meine Hände,
der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirn getrunken,
ich bin noch Jungfrau in der Arbeit;
und wenn es mir nicht der Mühe zuviel wäre, würde ich mir die Mühe nehmen,
Ihnen diese Verdienste weitläufiger auseinanderzusetzen.

Büchner, Georg (1813 - 1837) aus: Leonce und Lena




Ich bleib dabei

Durch Arbeitsamkeit würde sich unser Wohlstand vermehren,
aus dem Wohlstand entstünde Reichtum,
aus dem Reichtum entstünden höhere Wünsche,
aus den Wünschen Unzufriedenheit ...
Nein, du verlockst mich nicht,
ich bleib' bei meinem stillbescheidenen tatenlosen Wirkungskreis -
ich arbeit' nix!

Nestroy, Johann (1801 - 1862)







Immer will mir nichts gelingen,
nie was schaffen tu ich gern.
Nur wem faul ist, kann nichts mehr gelingen
Müßiggang, du holder Stern.
Versager sein, sich nicht betragen,
glücklich in der Sonne dösen,
nicht mehr jammern, nicht mehr klagen,
sich von der Arbeitsfessel lösen.
Spielen, jauchzen, tollen, lachen,
ach, was könnt man alles machen ...

Felix Quadflieg





Welche Wohltat
einmal auch sagen zu dürfen:
nein er war nicht tüchtig
und wechselte oft die stelle
nein er war nicht fleißig
und arbeitete nur
sofern es nicht anders ging

sonst aber
las er lieber SPORT oder PLAYBOY
setzte sich nachmittags schon ins kino
(EDDIE CONSTANTINE war sein Liebling)
schlürfte cognac in straßencafés
meditierte die anmut der frauen
oder die tauben am turm

im frühling fuhr er
durch zart- und frechgrünes land

den sommer verlag er
gut geölt und behaglich im schwimmbad
später im herbst dann streifte er
manchen stillen waldrand entlang
ehe er für den winter
eine beschäftigung suchte
und eine freundin
weil er die festferientage
nicht allein zu verbringen liebte

welche wohltat
in einer welt
die vor tüchtigkeiten
aus den fugen gerät;
ein mann der sich gute tage
zu machen wußte
ehe nach einigen bösen
jetzt
der letzte tag für ihn kam

Marti, Kurt (1921-2017)





Wer aber recht bequem ist und faul,
flög dem eine gebratne Taube ins Maul,
er würde höchlich sichs verbitten,
wär sie nicht auch geschickt zerschnitten.

Goethe, Johann Wolfgang von (1749 - 1832)






Fürwahr es ist nicht klar,
ob ich schonmal gewesen war.
Sag nicht, daß ich spinn,
wenn ich glaube, daß ich bin.
Was wird meine Zukunft sein?
Fegefeuer, Höllenpein?
Oder Lobpreis für den Himmelherrn?
Ach Gott, das hätte ich nicht gern.
Immer singen, preisen, loben
dann zieh ich dem Sein dort oben
vor, meine zweifelhafte Existenz
(und mach mir hier nen lauen Lenz!).

Die paar Jährchen, die uns hier gewährt auf Erden,
die um Himmels willen werden
wir uns doch sicher nicht verleiden.
Nein, und deshalb meiden
wir von Stund an jede Pflicht.
Denn es ist ganz sicher nicht
förderlich fürs Leben schuften.
Müssen Blumen, um zu duften,
zur Arbeit gehn und tun,
anstatt zu liegen und zu ruhn?
Nein, die Weile die wir hier verbringen
füllen wir aus mit Tanz und Singen.
Darum reih sich jede ein
der Arbeit ist nur Müh und Pein.br> Wir wollen nicht mehr sinnvoll sein!

Felix Quadflieg





Im Sommer

Im Schweiße unsres Angesichts
Solln unser Brot wir essen?
Im Schweiße ißt man lieber nichts,
Nach weiser Ärzte Ermessen.
Der Hundsstern winkt: woran gebrichts?
Was will sein feurig Winken?
Im Schweiße unsres Angesichts
Solln unsren Wein wir trinken!

Nietzsche, Friedrich (1844 - 1900)






Muße und Müßiggang

Es ist eine indianerhafte, dem Indianer-Blute eigentümliche Wildheit in der Art, wie die Amerikaner nach Gold trachten: und ihre
atemlose Hast der Arbeit - das eigentliche Laster der neuen Welt - beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen
und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe
Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag ißt, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, - man lebt wie einer, der fortwährend "etwas versäumen" könnte. "Lieber irgendetwas tun als nichts" - auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Überlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, etwas in weniger Zeit zu tun als ein anderer. Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits "Bedürfnis der Erholung"
und fängt an, sich vor sich selbst zu schämen. "Man ist es seiner Gesundheit schuldig" - so redet man, wenn man auf einer Landpartie
ertappt wird. Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg
seine Arbeit, wenn die Not ihn zum Arbeiten zwang. Der Sklave arbeitete unter dem Druck des Gefühls , daß er etwas Verächtliches
tue - das "Tun" selber war etwas Verächtliches.

Nietzsche, Friedrich (1844 - 1900)






Vergiß dich

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil's wohltut, weil's frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
und hast eine bei dir, dann spiel was dir kommt.

Und laß deine Melodie lenken
von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiß dich. Es soll dein Denken
nicht weiter reichen, als ein Grashüpferhupf.

Ringelnatz, Joachim (1883 - 1934)






Balance

Arbeit ist das, was ich am wenigsten liebe.
Und dennoch arbeite ich nicht schlecht.
So von Widersprüchen ist alles durchzogen.
Würde mein Leben geradegebogen,
Ich glaube, daß kaum etwas bliebe,
Was eindeutig wäre und lotgerecht.

Ich bin nicht anders, als all die meisten.
Die Unschuld verlor ich im Paradies.
Ich unterliege den Lebenszwängen,
Die mich wie alle alltäglich bedrängen:
Ich will essen und muß dafür gegenleisten
Im Schweiße - wie es Gottvater verhieß.

Ich bin aber damit nicht einverstanden,
Daß es schwer sein soll. Ich will es leicht.
Darum übe ich mich, die Schwerkraft zu zwingen,
Übers Seil zu laufen und dabei zu singen,
Um endlich auf einer Wolke zu landen.
Bisher hab ich kaum die Balance erreicht.

Strittmatter, Eva (1930-2011)






Das Faultier oder die Geschichte zur hakenförmigen Kralle

"Seit Jahren hängst du faul im Baume"!
trompetete der Elefant.
Das Faultier reckte sich die Arme
und sprach, vom Ast herabgewandt:
"Ein Elefant mag Bäume schleppen
und noch dazu des Körpers Last.
Ich dien mir selbst als Hängematte,
die Arbeit tut für mich der Ast."

"Wer sich so hängen läßt wird fallen.
Ich warn Dich!" meckerte die Gams.
Das Faultier wiegte sich am Zweige
Und gähnte von der Höh des Stamms:
"Ihr Gemsen müßt gut balancieren,
daß euch beim Sprung das Bein nicht bricht,
ich schwing im Hängen stets von selber
zurück ins sichre Gleichgewicht."

"Du wirst verhungern!" grunzt´ der Eber,
"wenn du nichts tust mein fauler Freund!"
Das Faultier kaute ruhig zu Ende,
spie einen Stengel aus und meint´:
Warum soll ich nach Trüffeln graben
Im Erdreich wie das Warzenschwein?
Die Früchte schwellen an den Zweigen
und fallen mir zum Mund herein!"

"Du Faulpelz" Scholl es gell von oben,
der Adler kreiste überm Baum.
Das Faultier folgte mit den Augen
und regt die Lippen halb im Traum:
"Ihr Adler schraubt euch in den Himmel,
hinabzustoßen eure Krall´.
Ich häng am Aste, aufzuschauen
Und mir gehört das ganze All."

Winter, Georg (1941)






Die viel zitierte Managerkrankheit
ist das Unvermögen, sich zu entspannen, sobald es not tut. Wann es not tut sagt einem der Instinkt, doch eben diesen Instinkt haben
die "Manager" (und das sind nicht nur die Wirtschaftsführer, sondern alle, die Arbeit und Verdienst zum Götzen erheben) eingebüßt.

Sie überhören, übersehen die Alarmsignale ihres Körpers, sie halten ihre werte Person so lange und so verbissen für unabkömmlich,
bis sie plötzlich ganz und gar abkömmlich ist; am Ende ihrer schlaflosen Nächte steht auf einmal der große Schlaf.

Viel zu viele Menschen verstehen sich nicht darauf, jenen philosophi-schen Abstand zur Welt zu halten, der Weisheit oder Humor oder
Faulheit heißt - vor allem in Deutschland, dem Tummelplatz des penetranten Fleißes, verstehen sie es nicht. Und das ist bedauerlich,
weil sie eines mächtigen Kraftquells verlustig gehen, einer Erquik-kung, der keine andere gleichkommt.

Kusenberg, Kurt (1904 - 1983)






Werte

Der Moment, wenn du nach vielen Jahren
harter Arbeit und einer langen Reise
in der Mitte deines Zimmers, Hauses,
halben Morgens, Anwesens, deiner Insel,
deines Landes stehst
und endlich weißt, wie du dahin gekommen bist,
und sagst: das gehört mir,

ist derselbe Moment, in dem die Bäume ihre
weichen Arme von dir lösen,
die Vögel ihre Sprache zurücknehmen,
die Steilküsten Risse zeigen und einstürzen,
die Luft sich wie eine Welle von dir zurückzieht
und du nicht mehr atmen kannst.

Nein, flüstern sie. Dir gehört gar nichts.
Du warst ein Besucher, der immer wieder
den Hügel erklomm und seine Flagge hißte.
Wir haben dir nie gehört.
Du hast uns nicht gefunden.
Es war immer andersherum.

Strittmatter, Eva (1930-2011)





Geschäftig sind die Menschenkinder,
die große Zunft von kleinen Meistern,
als Mitbegründer, Miterfinder
sich diese Welt zurecht zu kleistern...

Welch ein Gedrängel und Getriebe
von Lieb und Haß bei Nacht und Tage,
und unaufhörlich setzt es Hiebe,
und unaufhörlich tönt die Klage.

Gottlob, es gibt auch stille Leute,
die meiden dies Gewühl und hassen's
und bauen auf der andren Seite
sich eine Welt des Unterlassens.

Busch, Wilhelm (1832 - 1908)






Müßiggängers Abendgebet

Wieder ist ein Tag zu Ende.
Oh, wie freun sich meine Hände!
Hab' ich auch nicht viel gemacht,
hab' ich doch den Tag verbracht.

Endrikat, Fred (1890 - 1942)






Als ich es zuweilen
unternommen habe, die ruhelose Geschäftigkeit der Menschen zu betrachten, wie auch die Gefahren und Strapazen, denen sie sich bei Hofe und im Kriege aussetzen, habe ich häufig gesagt, daß das ganze Unglück der Menschen aus einem einzigen Umstand herrühre, nämlich daß sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können. Wenn ein Mann, der genug Vermögen zum leben hat, es verstünde, vergnügt zu Hause zu bleiben, so würde er nicht ausziehen, um über das Meer zu fahren oder sich an der Belagerung einer Festung zu beteiligen (...) Welche Lage man sich auch immer vor Augen führen mag, wenn man alle Güter zusammenhäuft, die uns gehören können, so ist die Königswürde doch die schönste Stellung der Welt. Und trotzdem, wenn man sich denkt mit ihr und allen Befriedigungen versehen zu sein, wenn der Betreffende ohne Zerstreuung ist und man ihn Betrachtungen und Überlegungen darüber, was er ist, anstellen läßt - so wird dieses schwache Glück ihm nichts helfen - er wird notgedrungen in Gedanken über jene Geschehnisse verfallen, die ihn bedrohen, über die Empörungen, die eintreten können und schließlich über den Tod und die Krankheiten, die unausbleiblich sind, so daß er nun, wenn ihm das fehlt, was man Zerstreuung nennt, unglücklich ist und unglücklicher als der Geringste seiner Untertanen, der spielt und sich zerstreut (...) Daher kommt es, daß die Menschen das Getümmel und die Aufregung so gern haben. Daher kommt es, daß das Gefängnis eine so schreckliche Qual ist, daher kommt es, daß die Freude an der Einsamkeit etwas Unbegreifliches ist. Und schließlich ist es die große Ursache des Glücks in der Stellung der Könige, daß man unablässig versucht, sie zu zerstreuen und ihnen alle Arten von Vergnügungen zu verschaffen. Der König ist von Leuten umgeben, die nur daran denken, den König zu zerstreuen und ihn davon abzuhalten, an sich selbst zu denken. Denn er ist unglücklich, so sehr er auch König ist, sobald er daran denkt.

Pascal, Blaise (1623 - 1662)






Mit dem äußersten Unwillen
dachte ich nun an die schlechten Menschen, welche den Schlaf vom Leben subtrahieren wollen. Sie haben wahrscheinlich nie geschlafen, und auch nie gelebt. Warum sind denn die Götter Götter, als weil sie mit Bewußtsein und Absicht nichts tun, weil sie das verstehen und Meister darin sind? Und wie streben die Dichter, die Weisen und die Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern sie im Lobe der Einsamkeit, der Muße, und einer liberalen Sorglosigkeit und Untätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigne Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder schöne Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigne. Und womit beginnt und endigt es, als mit der Antipathie gegen die Welt, die jetzt so gemein ist? Der unerfahrne Eigendünkel ahnet gar nicht, daß dies nur Mangel an Sinn und Verstand sei. Er hält es für hohen Unmut über die allgemeine Häßlichkeit der Welt und des Lebens, von denen er doch noch nicht einmal das leiseste Vorgefühl hat. Er kann es nicht haben, denn der Fleiß und der Nutzen sind die Todesengel mit dem feurigen Schwert, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren.

Schlegel, Friedrich (1767 - 1845), aus: Idylle über den Müßiggang




Geh ich zeitig in die Leere
komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre
weiß ich wieder, was ich soll.

Brecht, Bert (1898 - 1956)






Klarer Tag

Der Himmel leuchtet aus dem Meer;
ich geh und leuchte still wie er.

Und viele Menschen gehn wie ich,
sie leuchten alle still für sich.

Zuweilen scheint nur Licht zu gehn
und durch die Stille hinzuwehn.

Ein Lüftchen haucht den Strand entlang:
o wundervoller Müßiggang.

Dehmel, Richard (1863 - 1920)






Langschläfers Morgenlied

Der Wecker surrt. Das alberne Geknatter
Reißt mir das schönste Stück des Traums entzwei.
Ein fleißig Radio übt schon sein Geschnatter.
Pitt äußert, daß es Zeit zum Aufstehn sei.

Mir ist vor Frühaufstehern immer bange.
... Das können keine wackern Männer sein:
Ein guter Mensch schläft meistens gern und lange.
- Ich bild mir diesbezüglich etwas ein...

Das mit der goldgeschmückten Morgenstunde
Hat sicher nur das Lesebuch erdacht.
Ich ruhe sanft. - Aus einem kühlen Grunde:
Ich hab mir niemals was aus Gold gemacht.

Der Wecker surrt. Pitt malt in düstern Sätzen
Der Faulheit Wirkung auf den Lebenslauf.
Durchs Fenster hört man schon die Autos hetzen.
- Ein warmes Bett ist nicht zu unterschätzen.
... Und dennoch steht man alle Morgen auf.

Kaléko, Mascha (1912 - 1974)






Liegen als Lebenslage

Pummerer, der müßig auf dem Sofa ruht,
Sagt auf den Vorwurf, weshalb er nichts tut,
Daß er vor der Geburt, beim Wettlauf zum Ei,
Erwiesenermaßen schnellster gewesen sei,
Im Rennen gegen Millionen von Konkurrenten,
Etwa künftigen Läufern oder Sportstudenten.
Jetzt ruhe er sich, verspätet, (im Schweiße
Der anderen) davon aus, verdienterweise,
Das heißt, er lasse jetzt, beim Verschnaufen,
Die andern Laufen.
Überhaupt sei, was das Wort deutlich besage,
Liegen die wahre Lebenslage.

Kühner, Otto Heinrich (1921 - 1996)






Laughton, Charles
der gern ein Nickerchen machte, befand sich in Urlaub.
Nach 14 Tagen wurde er vom Kurarzt gefragt:
"Na, Herr Laughton, was macht der Schlaf?"
"Nachts kann ich gut schlafen",
erwiderte der behäbige Laughton,
"am Vormittag geht es auch noch,
aber am Nachmittag wälze ich mich schon manchmal
unruhig hin und her!"





Ich
staunte heut
so manches
Wunder an.

Keats, John (1795 - 1821)






Ecce homo

Ja! Ich weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
glühe und verzehr ich mich.

Licht wird alles, was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich!

Nietzsche, Friedrich (1844 - 1900)






Die Flamme

Ob du tanzen gehst in Tand und Plunder,
Ob dein Herz sich wund in Sorgen müht,
Täglich neu erfährst du doch das Wunder,
Daß des Lebens Flamme in dir glüht.

Mancher läßt sie lodern und verprassen,
Trunken im verzückten Augenblick,
Andre geben sorglich und gelassen
Kind und Enkeln weiter ihr Geschick.

Doch verloren sind nur dessen Tage,
Den sein Weg durch dumpfe Dämmrung führt,
Der sich sättigt an des Tages Plage
Und des Lebens Flamme niemals spürt.

Hesse, Hermann (1877 - 1962)






Wirf dich weg! Sonst bist du nicht
meiner Art und meines Blutes.
Wehe, wachst du zagen Mutes
über deinem Lebenslicht,
dessen Flamme gar nichts wert,
wenn sie nicht ihr Wachs - verzehrt.

Brenne durstig himmelan!
Brenne stumm hinab! Doch - brenne!
Daß dein Los von dem dich trenne,
der sich nicht verschwenden - kann.
Laß ihm seine Angst und Not!
Du verstehe nur - den Tod!

Morgenstern, Christian (1871 - 1914)






Spruch

Du kannst nicht sein, du kannst dich nur verschwenden,
kannst bleiben nicht, die Welt, sie wandert aller Enden.
Du kannst nicht sammeln, jedes Gold wird Blei,
und nichts ergreifen, alles schwirrt vorbei.
Du kannst nicht wissen, denn es ward schon Trug,
du kannst nur lieben; lieben ist genug.

Bertram, Ernst (1884 - 1957)






Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz:
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.

Goethe, Johann Wolfgang von (1749 - 1832)






Selbstlos

Ich will mich in tausend Spiegeln besehn
und mich vor mir selber wenden und drehn.
Ich will mich teilen, zersplittern, zerfließen
und mich in jede Form neu wieder gießen.
Ich will die gepanzerte Seele sprengen,
das Ich aus seinem Angelpunkt hängen,
auf diese Weise mein Selbst verlieren
und mich und die Welt und die Ewigkeit spüren.

Fitz, Lisa (1951)






Ja, das Leben
war doch gar nicht so schlecht, wenn man noch richtig Kummer haben konnte.

Boetius, Henning (1939-2022)






O gebt mir Wein, der klaftertief versteckt
Gereift im Boden eines kühlen Hangs,
Nach grünem Geist, nach grünem Anger schmeckt
Und nach gebräunter, blendender Provence!
O einen Becher, drin der Süden schwankt,
Drin Hippokrene aufwallt, rot entbrannt,
Und der beschlägt mit frischem Perlenhauch,
Am Mund wie Purpur prangt:
Daß ich ihn leer und mit dir unerkannt
Die Welt verlaß und in die Waldflut tauch!

Keats, John (1795 - 1821)






Auch das

Ratlosigkeit ist gut
Verlieren ist gut
Versäumnis ist gut
Verkehrte Wege wählen ist gut
Nicht weiterwissen ist gut
Sich leer fühlen ist gut.
Auch das ist ein volles Leben.

Fritz, Walter-Helmut (1929-2010)






Augenblick

Ich will mich für nichts mehr bewahren,
Was noch kommen könnte,
Und will an mir nicht mehr sparen.
Was ich mir bisher nicht gönnte:
Die lässige Hingabe an den Tag,
Die gönne ich mir nun endlich.
Und alles ändert sich mit einem Schlag.
Ich leb nicht mehr überwendlich.
Ich freue mich, daß ich die Freiheit habe,
In der Frühe durch diesen Schnee zu gehn,
Und daß ich dem Schnee meine Spuren eingrabe,
Und daß mich das Licht und die Kälte anwehn.
Da ist das Geheimnis des Glückes entsiegelt:
Der Augenblick kennt kein Ungemach.
Und wie sich rötlich der Himmel spiegelt
Im schwarz unterm Schnee verrinnenden Bach!
Ich habe zuviel von Erwartung gelebt.
Und Fäden zu fremden Menschen gesponnen.
Und aus diesen Fäden Träume gewebt.
Und immer von neuem die Hoffnung begonnen,
Daß etwas in der Ferne geschieht,
Das bis zu mir herüberreicht
Und mich zu sich hinüberzieht,
Etwas, das nichts auf Erden gleicht.
Jetzt akzeptiere ich mein Geschick
Und seine Ganzalltäglichkeit.
Und ich begreife den Augenblick
Als meinen Anteil an der Zeit.

Strittmatter, Eva (1930-2011)






Vergiß dich

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil's wohltut, weil's frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
und hast eine bei dir, dann spiel was dir kommt.

Und laß deine Melodie lenken
von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiß dich. Es soll dein Denken
nicht weiter reichen, als ein Grashüpferhupf.

Ringelnatz, Joachim (1883 - 1934)






Wir allein

Wir allein können das Gold entwerten
indem wir uns nicht darum scheren
ob es fällt oder steigt
auf dem Markt.
Überall wo Gold ist
ist auch eine Kette, weißt du,
und wenn deine Kette
aus Gold ist
desto schlimmer
für dich.
Federn, Muscheln
und vom Meer geformte Steine
sind ebenso kostbar.
Das könnte unsere Revolution sein:
Was es im Überfluß gibt
ebenso zu lieben wie
das Rare.

Walker, Alice (1944)






Die Sonne
wärmt mir den Rücken
beim Bücken.
Doch wenn ich aufrecht stehe,
auch
den Bauch.

Ludwig Sasse





Bürger, schont eure Anlagen

Arbeit läßt sich schlecht vermeiden,
und sie ist der Mühe Preis.
Jeder muß sich mal entscheiden.
Arbeit zeugt noch nicht von Fleiß.

Arbeit muß es quasi geben.
Denn der Mensch besteht aus Bauch.
Arbeit ist das halbe Leben,
und die andre Hälfte auch.

Seht euch vor, bevor ihr schuftet!
Zieht euch keinen Splitter ein.
Wer behauptet, daß Schweiß duftet,
ist (ganz objektiv) ein Schwein.

Zählt die Arbeit zu den Strafen!
Wer nichts braucht, braucht nichts zu tun.
Legt euch mit den Hühnern schlafen.
Wenn es geht: pro Mann ein Huhn.

Manche geben keine Ruhe,
und sie schuften voller Wut.
Doch ihr Tun ist nur Getue,
und es kleidet sie nicht gut.

Laßt euch auf den Sofas treiben!
Gut geträumt ist halb gelacht.
Hände sind zum Händereiben.
Sprecht schon morgens: "Gute Nacht".

Laßt die Wecker ruhig rasseln!
Zeigt dem Krach das Hinterteil.
Laßt die Moralisten quasseln.
Bietet euch nicht täglich feil.

Wozu macht ihr Karriere?
Ist die Erde denn kein Stern?
Tut, als ob stets Sonntag wäre,
denn er ist der Tag des Herrn.

Vieles tun heißt vieles leiden.
Lebt, so gut es geht, von Luft.
Arbeit läßt sich schlecht vermeiden, -
doch wer schuftet ist ein Schuft!

Kästner, Erich (1899 - 1974)






Darum sage ich euch:

Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet;
auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.(...)
Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen:
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
Ich sage euch, daß auch Salomo in seiner ganzen Herrlichkeit nicht so gekleidet gewesen ist,
wie auch nur eine von ihnen.

Neues Testament, Mathäus 6.25 ff





Laßt uns weniger betriebsam sein

Heutzutage, da jeder, der sich nicht die Mißachtung der Welt zuziehen will, einen einträglichen Beruf ergreifen und den Sinn
seines Lebens in seiner Arbeit finden muß, hat das Lob des Müßiggangs, die Versicherung, daß man zufrieden ist, wenn man sein
Auskommen hat und es sonst vorzieht, sich einen guten Tag zu machen, völlig unberechtigterweise einen Anstrich von Aufschneiderei
und Großsprecherei. Tatsächlich aber hat der Müßiggang, der durchaus nicht mit dem Nichtstun identisch ist, sondern dadurch
charakterisiert wird, daß man Dinge tut, die in den Augen der herrschenden Klassen keinerlei Sinn haben, ebensoviel Berechtigung
wie die Betriebsamkeit.

Zugegebenermaßen ist die Existenz von Menschen, die es ablehnen, sich um einiger Groschen willen an einem Hindernisrennen zu
beteili-gen, allen denen ein Dorn im Auge, die Anstrengungen dieser Art auf sich zu nehmen bereit sind. Ein anständiger Mensch
entscheidet sich für eine Sache und führt sie dann entschlossen durch; es läßt sich verstehen, daß ihn - während er mühsam und
angestrengt seinen Weg verfolgt - der Anblick jener ärgert, die am Straßenrande in kühlen Wiesen liegen, ein Tuch über der Stirn
und eine Flasche Wein neben sich. Diogenes' Mißachtung traf Alexander an einer sehr empfindli-chen Stelle; es ist eine sehr schmerzliche
Erfahrung für einen Men-schen, der sein ganzes Leben hindurch gearbeitet hat, wenn er am Ende feststellen muß, daß die Menschheit
von seinen Bemühungen gar keine Notiz nimmt.

Ohne jeden Zweifel ist der Müßiggang ein sehr wichtiger Bestandteil der Erziehung. Obwohl es hier und dort jemanden gegeben
haben soll, der die Schulzeit überstanden hat, ohne seinen Verstand einzubüßen, bezahlen die meisten Menschen ihr Schulgeld
sehr teuer; sie haben vorzeitig ihr ganzes Pulver verschossen, und wenn das eigentliche Leben beginnt, sind sie bankrott.

Laßt die anderen ihr Gedächtnis mit dem Gerümpel toter Worte anfüllen - nur die Müßiggänger erlernen die wahre Kunst: ein Lied
zu trällern, eine gute Zigarre zu rauchen und leicht und angenehm dahin zu plaudern. Viele, die ihre Lehrbücher rechtschaffen
durchgeackert und gründliche Kenntnisse aufgespeichert haben, erweisen sich in allen angenehmeren Lagen des Lebens als trockene,
gallige und unfreundliche Gesellen.

Der Müßiggänger aber, der gleichzeitig mit ihnen die Bahn des Lebens beschritten hat, bietet ein anderes Bild. Er hat Zeit gehabt,
sich um seine Gesundheit und seinen Geist zu kümmern, er ist viel an der frischen Luft gewesen, und das ist für Körper und Geist
stets das beste. Es mag sein, daß er die wichtigen Bücher seiner Zeit niemals gelesen hat - aber er hat sie mit ausgezeichnetem
Erfolg angeblättert und flüchtig überflogen. Ach - der Müßiggänger besitzt noch andere Qualitäten. Ich denke an seine Weisheit.
Mit Dogmatikern hat er nichts zu schaffen; großzügig und heiter läßt er jedermann gelten. Ausgefallene Wahrheiten sind nicht seine
Sache - er gibt sich mit Irrtümern zufrieden, wenn sie nicht allzusehr auffallen. Gutgelaunt schlendert er die Seitenwege des Lebens
entlang.

Übertriebene Geschäftigkeit ist immer ein Zeichen mangelnder Vitalität. Es gibt gewisse armselige Kreaturen, die in der Arbeit den
Sinn des Lebens sehen. Würde man sie aufs Land oder auf ein Schiff bringen, würden sie sich nach ihrem Pult sehnen. Sie sind nie
neu-gierig, niemals ausgelassen und mit sich selbst nicht zufrieden. Wenn sie nicht ins Büro gehen, ist die Welt leer für sie. Wenn
sie auf die Eisenbahn eine Stunde warten müssen, schlafen sie mit geöffneten Augen.

Was mich betrifft, so begegne ich lieber einem glücklichen Menschen, als daß ich eine Fünf-Pfund-Note finde. Ein heiterer Mensch verbreitet
gute Laune um sich, und wenn er in ein Zimmer kommt, ist es, als sei ein Licht angezündet worden.

Wofür denn - in Gottes Namen - diese ständige Plackerei? Für welchen Preis verbittern diese Menschen ihr Leben und das ihrer Mitmenschen?
Ob ein Schriftsteller drei oder dreißig Artikel im Jahr veröffentlicht, ob ein Maler ein allegorisches Bild mehr malt - das sind
Fragen, für die sich die Welt wenig interessiert. Es gibt äußerst wenige Dinge auf der Welt, die ein Pfund Tabak wert sind. Man kann
es drehen, wie immer man will - kein Mensch ist unersetzlich.

Und doch sieht man überall Kaufleute, die ihr Leben auf der Jagd nach dem Gelde verbringen, Schriftsteller, die an ihren Artikeln so
lange herumschreiben, bis ihre Laune jeden verärgert, der ihnen in den Weg kommt. Das Ziel, für das sie ihre kostbare Jugend opfern,
ist eine Schimäre. Der Ruhm, den sie erhoffen, die Reichtümer, die sie erstreben, kommen nie - oder zu einer Zeit, da ihnen nichts mehr
daran liegt. Sie aber haben ihr Leben vertan - auf der Jagd nach dem Unerreichbaren.

Mich friert bei dem Gedanken.

Stevenson, Robert Louis (1850 - 1894)





Falschschreibung

Pummerer, aus purer Freundlichkeit,
Fragt auf der Straße die Leute oft nach der Zeit,
Auch nach dem Datum oder nach dem Weg
Und verschafft ihnen so Überlegenheit und Privileg,
Sagt zu dem Vorsitzenden des Geschichtsvereins,
Landgraf Karl sei 1602 gestorben (statt 1601),
Oder schreibt beispielsweise das Wort 'Relieff'
In einem Brief an Hauptlehrer Vogt mit Doppel-f!
(Er verschafft so allen, wohlwollend und beflissen,
Die tiefe Befriedigung, es besser zu wissen.)

Kühner, Otto Heinrich (1921 - 1996)






Schwächeakte

Pummerer meidet die sich selbst Bezwinger,
Die um Pokale und um Entschlüsse Ringer,
Die Pioniere, Schrittmacher und Wegbereiter,
Bahnbrecher, Gipfelstürmer usw.
Und verkehrt lieber mit Schwachen, Weichen,
Drittrangig-Mittelmäßigen, kurz, seinesgleichen.
Allesamt zarten und schwächlichen Körperbaus,
Üben sie sich - meist in Pummerers Gartenhaus -
Ohne Vorbilder und Maximen (also Autodidakten!)
Nicht in Kraft-, sondern in Schwächeakten,
Klein beizugeben, ihre Kräfte zu unterschätzen
Oder den Willen nicht in die Tat umzusetzen,
Und sind sich, ohne Ehrenschuld oder 'Du mußt!',
Der erhabenen Kleinheit der Stunde bewußt,
Fühlen sich auch, weil klein, viel allgemeiner,
Und einsam wie ein Großer ist von ihnen keiner.

Kühner, Otto Heinrich (1921 - 1996)






Und so sprach ich denn
auch in jener unsterblichen Stunde, da mir der Genius eingab, das hohe Evangelium der echten Lust und Liebe zu verkündigen,
zu mir selbst: "O Müßiggang, Müßiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen die Seligen,
und selig ist wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese
blieb!"(...)
In der Tat sollte man das Studium des Müßiggangs nicht so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft,
ja zur Religion bilden! Um alles in Eins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden
sie der Pflanze; diese ist unter allen Formen der Natur die sittlichste, und die schönste. Und also wäre ja das höchste vollendetste
Leben nichts als ein reines Vegetieren.

aus: Schlegel, Friedrich (1767 - 1845) aus: Idylle über den Müßiggang





Kleine Erlebnisse großer Männer

KANT

Eines Tages geschah es Kant,
daß er keine Worte fand.

Stundenlang hielt er den Mund,
und er schwieg nicht ohne Grund.

Ihm fiel absolut nichts ein,
drum ließ er das Sprechen sein.

Erst als man zum Essen rief,
wurd' er wieder kreativ,

und er sprach die schönen Worte:
"Gibt es hinterher noch Torte?"

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)






WORTE ZU BILDERN


ZU PIETER BREUGHELS BILD "BAUERNHOCHZEIT"

Zum Schrei'n
wie er die Flächen füllt,
die von Figuren überquillt,
von Leuten groß und klein -
zum Schrei'n!

ZU LEONARDO DA VINCIS "MONA LISA"

Zum Brüll'n,
wie manches lange Jahr
er vor der Leinwand tätig war,
anstatt sie zu zerknüll'n -
zum Brüll'n!

ZU DÜRERS HANDZEICHNUNGEN

Zum Heul'n,
wie viele tausend Blatt
er blindlings vollgezeichnet hat
mit Männern, Frauen, Eul'n -
zum Heul'n!

ZU ERWIN KRAUTNICKS GEMÄLDE "MEINE OMA"

Gekonnt,
wie er die Oma bringt,
die bäuchlings "La Paloma" singt,
von letzten Strahlen übersonnt -
gekonnt!

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)





Selbstfindung

Ich weiß nicht, was ich bin. Ich schreibe das gleich hin. Da hab'n wir den Salat: Ich bin ein Literat.

Gernhardt, Robert (1937 - 2006)
 





Wochenbrevier

Am Montag fängt die Woche an.
Am Montag ruht der brave Mann,
das taten unsre Ahnen schon.
Wir halten streng auf Tradition.

Am Dienstag hält man mit sich Rat.
Man sammelt Mut und Kraft zur Tat.
Bevor man anfängt, eins, zwei, drei,
bums - ist der Dienstag schon vorbei.

Am Mittwoch faßt man den Entschluß:
Bestimmt, es soll, es wird, es muß,
mag kommen, was da kommen mag,
ab morgen früh am Donnerstag.

Am Donnerstag faßt man den Plan:
Von heute ab wird was getan.
Gedacht, getan, getan, gedacht.
Inzwischen ist es wieder Nacht.

Am Freitag geht von alters her
Was man auch anfängt, stets verquer.
Drum ruh dich aus und sei belehrt:
Wer gar nichts tut - macht nichts verkehrt.

Am Samstag ist das Wochen-End,
da wird ganz gründlich ausgepennt.
Heut anzufangen, lohnt sich nicht.
Die Ruhe ist des Bürgers Pflicht.

Am Sonntag möcht´ man so viel tun.
Am Sonntag muß man leider ruhn.
Zur Arbeit ist es nie zu spät.
O Kinder, wie die Zeit vergeht!

Endrikat, Fred (1890 - 1942)





Ich

Ich stehe
manchmal
neben mir
und sage
freundlich
DU zu mir
und sag
DU bist
ein Exemplar
wie keines
jemals
vor dir war
DU bist
der Stern
der Sterne
Das hör ich
nämlich gerne

Spohn, Jürgen (1934 - 1992)






Man muß immer trunken sein.
Das ist alles, die einzige Lösung.
Um nicht das furchtbare Joch der Zeit zu fühlen,
das eure Schultern zerbricht und euch zur Erde beugt,
müsset ihr euch berauschen, zügellos.
Doch womit?
Mit Wein, mit Poesie, oder mit Tugend?
Womit ihr wollt,
aber berauschet euch.
Und wenn ihr einmal
auf den Stufen eines Palastes,
im grünen Grase eines Grabens,
in der traurigen Einsamkeit eures Gemaches erwachet,
der Rausch schon licht geworden oder verflogen ist,
so fraget den Wind, die Woge, den Stern, den Vogel, die Uhr,
alles, was flieht,
alles, was seufzt,
alles, was vorüberrollt, singt, spricht,
fraget sie: Welche Zeit ist es?
Und der Wind, die Woge, der Stern, der Vogel, die Uhr werden euch antworten:
Es ist Zeit, sich zu berauschen,
um nicht die gequälten Sklaven der Zeit zu sein.
Berauschet euch,
berauschet euch ohne Ende
mit Wein, mit Poesie,
oder mit Tugend,
womit ihr wollt.

Baudelaire, Charles (1821 - 1867)